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Predigt über Matthäus 18, 21-35

am 26.10.1997
22. Sonntag nach Trinitatis

Ort: Dattingen


Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

Liebe Schwestern und Brüder

Einleitung

Ist es Ihnen auch schon einmal so ergangen, daß man Ihnen gesagt, vielleicht sogar vorgeworfen hat, daß die Themen der Kirche, oder etwas präziser, die Themen von Christen nicht mehr aktuell sind. Daß wir mit dem, was uns beschäftigt an der Welt vorbei leben, wir - wie es heute heißt - außen vor sind? Mir jedenfalls sind solche Äußerungen immer wieder einmal begegnet. Und manchmal fällt es dann gar nicht so leicht, darauf auch die passende Antwort zu finden.

Mit dem heutigen Thema des Predigttextes verhält es sich ähnlich. Auch darin wird ein Thema angeschnitten, von dem man zunächst den Eindruck hat, das ist doch Schnee von gestern, das paßt doch heute nicht mehr in unsere Zeit in unsere Welt in der ganz andere Schlagwörter die Medien bestimmen.

- Text lesen: Mt 18, 21-35 -

Schuld und Vergebung, das sind die Themen um die es in diesem Text geht. Stichworte, die in unserer Zeit kaum noch fallen. Scheinbar spielen diese Begriffe in unseren Tagen, wenn überhaupt, nur noch eine kleine unbedeutende Rolle. Sie füllen weder die Überschriften in unseren Tageszeitungen noch sind sie die Schlagwörter in den Nachrichten. Anfang dieses Jahres hatte einer den Mut, das Thema Schuld wieder aufzugreifen und sogar ein Buch darüber zu schreiben. Der Amerikaner Daniel Goldhagen beschäftigte sich mit dem für uns Deutschen unliebsamen Thema der Judenverfolgung und -vernichtung in der Nazizeit. Mit dem Titel "Hitlers willige Vollstrecker" sorgte er für neuen Diskussionsstoff und warf erneut die Frage nach der Schuld auf. Obwohl mehr als ein halbes Jahrhundert seither vergangen sind, ist es eine Frage geblieben.

Aber nicht nur bei diesem Thema, spielt die Frage nach der Schuld eine Rolle. Auch wenn wir es nicht wahrnehmen und vielfach auch nicht wahrhaben wollen, sind wir tagtäglich in Schuldzusammenhänge verstrickt. Und das nicht nur dann, wenn wir jemandem die Vorfahrt nehmen oder mit einem Arbeitskollegen Streit haben. Die Frage nach der Schuld in unserem Leben spielt nicht nur dann eine Rolle, wenn wir gegen Gesetze oder Verordnungen verstoßen haben. Die Schuldfrage spielt grundsätzlich eine Rolle, zum Beispiel bei Fragen der Massenvernichtungswaffen, wie die Reichtümer dieser Erde verteilt sind und wie wir mit den beschränkten Lebensresourcen auf unserem Planeten umgehen oder in Fragen der Asylpolitik, um nur einige Beispiele zu nennen. Wenn wir darüber nachdenken, kommen wir nicht darum herum, uns mit Schuld zu beschäftigen. Und wenn wir von Schuld reden, dann ist der nächste Schritt darüber nachzudenken, wie wir Vergebung erlangen können und wie wir selbst mit unseren Schuldnern umgehen.

In unserem Bibelabschnitt beschäftigt auch einen, Petrus, die Frage nach Schuld und Vergebung und er faßt Mut dieses Thema anzusprechen. Ein Thema, das ihm möglicherweise schon lange unter den Nägeln brennt. Seit dem Zeitpunkt, da Jesus davon gesprochen hat, im Gebet Gott darum zu bitten, uns zu vergeben, so wie wir unseren Schuldigern vergeben. Haben sie das ihm Ohr? Nachher, am Ende des Gottesdienstes werden auch wir diese Worte beten und es sein an dieser Stelle die Frage erlaubt, was bewegt das in ihnen? Was denken und empfinden sie dabei?

Geht es ihnen runter wie Öl oder gar an ihnen vorbei oder verschlucken sie sich daran? Petrus jedenfalls hat sich daran verschluckt und er konnte es nicht länger bei sich behalten. Er mußte mit Jesus darüber reden. Es war wieder einer der Situationen, wo sie unter sich waren. Und dann ging es nicht um Wunder, um Erfolge sondern um den einzelnen Menschen, da ging es um die, die in der Mitarbeit standen und geht es um die, die heute in der Mitarbeit stehen und Jesus nachfolgen.

Daß Petrus nun diese Frage stellt zeigt, daß er mit diesem Thema noch nicht fertig war. Es beschäftigte ihn.

1. Was Petrus beschäftigt

Wie gesagt, daß Petrus diese Frage so stellt zeigt, daß das Thema Vergebung für ihn noch nicht gegessen war. Es war wohl noch lange nicht so, daß er das so einfach aus dem "ff" buchstabieren konnte. Und darum hakte er nach, ergriff die Gelegenheit und sprach Jesus darauf an. "Du Jesus, wie ist das denn eigentlich mit der Vergebung? Reicht es, wenn ich meinem Bruder, der gegen mich sündigt, siebenmal vergebe?"

Was Petrus da aussprach, war aller Achtung wert. Denn das durchschnittliche Maß der Vergebung in der damaligen Zeit lag so etwa bei zwei mal. Und nun wollte er es genau wissen. Ein für alle mal wollte er geklärt haben, wie das nun ist und ab wann man aufhören kann, aufhören darf, dem anderen zu vergeben. Dahinter steckt doch auch die Frage, nach der Selbstbestimmung und die Angst, möglicherweise zu kurz zu kommen. Und ich denke das Argument ist durchaus berechtigt zu sagen, ob nicht irgendwann einmal die Grenze erreicht ist. Hierher gehört dann der Einwand, ob es denn richtig ist, sich übervorteilen1 zu lassen und es doch nicht sein kann, daß sich Christen alles gefallen lassen müssen.

Ich denke, daß da ein Unterschied ist, zwischen sich alles gefallen zu lassen und dem Wunsch nach Vergeltung, in welcher Form auch immer. Denn das steckt hinter dieser Frage nach dem "wie oft" auch mit dahinter. Wann kann ich mein Recht geltend machen? Das ist dann das normale Gesetz dieser Welt, Vergeltung statt Vergebung, wie du mir so ich dir, das sind die gängigen Spielregeln mit denen wir von klein auf vertraut gemacht werden. Dazu ist mir eingefallen, wie Jesus selbst gehandelt hat.

Und ist es nicht einmal genug immer wieder von Schuld und Vergebung zu reden. Wird es nicht einmal Zeit, das Mäntelchen der Barmherzigkeit darüber zu breiten? Aber Verdrängung, das lehren uns die Psychologen, war und ist noch nie weder ein guter noch ein richtiger Weg, um Probleme zu lösen.

Also Jesus, wir sehen ein, so ganz können wir uns nicht in dieses Verhalten zurückfallen lassen aber auf der anderen Seite sind wir alle keine Übermenschen und es muß doch der Zeitpunkt kommen, wo auch wir wieder nach diesen Regeln leben dürfen.

Ich erinnere mich hier an Jesus, der auf der einen Seite sagt, wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin.2 Aber dann, als er beim Verhör vor dem Hohenpriester von einem Diener geschlagen wird, ihm nicht einfach die andere Backe hinhält, sondern diesen fragt, warum er das getan hat.3 Ob Jesus ihm dann die andere Wange hingehalten hat, wissen wir nicht, aber er hat nicht Vergeltung geübt.

Und darum geht Jesus auf dieses Anliegen des Petrus ein, aber anders als es dieser wohl vermutet hat.

2. Was Jesus beschäftigt

"Nicht sieben mal, sondern sieben mal siebzig mal" sollst du vergeben. Geht es also doch um die Frage wie oft und daß irgendwann einmal das Limit erreicht ist? Hier steht ein klares nein. Jesus fordert nicht 483 Vergebungsakte mehr als Petrus eingesetzt hat. Vergebung ist keine Sache von Zahlen und von Aufrechnungen. Bei Vergebung geht es um die innere Einstellung und um die zu testen, erzählt Jesus ein Gleichnis.

In diesem Gleichnis ist von einem Mann die Rede, der bei seinem König in großen Schulden stand. Als nun der Zeitpunkt der Begleichung gekommen war, konnte er nichts zurückzahlen. Da drohte ihm der König an, ihn und seine ganze Familie als Sklaven zu verkaufen und mit dem Geld seine Schuld zu begleichen. Da bettelte und flehte er um sein Leben und bat den König um Gnade. Und wie es so ist in schönen Geschichten, der König lies sich erweichen. Wörtlich heißt es da, der König wurde innerlich bewegt und erließ ihm alle seine Schuld. so weit so gut. Froh um seine neue Chance war dieser Knecht jedoch nicht bereit, im Gegenzug einem Mitknecht dessen, im Vergleich, lächerliche Schuld zu vergeben. Als davon der König erfuhr wurde er zornig und lies ihn so lange einsperren, bis er alles bezahlt haben würde.

Jesus hat diese Geschichte zum einen dazu erzählt um Petrus und auch uns heute deutlich zu machen, welchen Stellenwert Vergebung bei ihm hat. Mit dieser Geschichte wird deutlich, wie Gott mit unserer Schuld umgeht, und gerade Petrus sollte Tage später erfahren, was es heißt, seine Schuld vergeben zu bekommen, nicht nach der Regel "wie du mir so ich dir" behandelt zu werden. Jesus wollte und will zum anderen mit diesem Gleichnis auch unterstreichen, was er von uns erwartet, wie wir mit der Schuld unserer Mitmenschen umgehen sollten. Verstehen sie mich jetzt nicht falsch. Ich rede jetzt hier vom zwischenmenschlichen Bereich und nicht von der Situation, wenn es schon so weit gekommen ist, daß sich jemand vor dem Gesetz verantworten muß.

3. Was uns beschäftigen sollte und die Konsequenzen für uns.

In dem Dilemma, in dem sich Petrus befunden hat, finden wir uns oft selbst wieder. Auch uns beschäftigt die Frage nach der Vergebung. Auch wir kennen möglicherweise den Umstand, daß uns das gar nicht so leicht fällt. Da kommen auch bei uns Gedanken nach Vergeltung hoch und die Frage, wie lange wir denn das Spielchen mitmachen müssen.

Mir jedenfalls sind diese Einwände durchaus bekannt, entweder aus der eigenen Erfahrung oder auf Grund der Erfahrung anderer. Und ich halte es durchaus für legitim, diese Fragen zuzulassen und sich ihnen zu stellen. Aber wir werden vermutlich nicht weiter kommen, wenn wir uns beim Thema Vergebung nur im Vergleich mit anderen Menschen sehen. Aus der Geschichte wird deutlich, daß Vergebung manchmal wachsen muß. Es kann durchaus einen Prozeß darstellen, bis ich soweit bin, einem anderen zu vergeben. Vergebung braucht manchmal, nicht immer, Zeit und daher zunächst der Rat, daß wir uns nicht überfordern sollen.

Das entscheidende in diesem Gleichnis scheint mir aber zu sein, daß Jesus damit sagen will, daß Vergebung, auch im zwischenmenschlichen Bereich, nur über den Umweg über Gott geht. Um vergeben zu können, muß ich mich nicht nur fragen, wie sieht das Verhältnis zu meinem Mitmenschen aus, sondern die Frage ist auch, wie sehe ich mich in meiner Beziehung zu Gott. Wenn mir klar wird und klar ist, daß mir Gott alle meine Schuld vergibt, mich herausgerissen hat um den Gesetzen dieser Welt, dann, und ich denke nur dann, werde ich in der Lage sein, einem anderen zu vergeben. Nicht nur sieben mal, sondern möglicherweise auch sieben mal siebzig mal.

Vergebung braucht diesen Weg über Gott. Ich muß immer wieder in den Spiegel schauen und erkennen, wie Gott mit meiner Schuld umgegangen ist und zukünftig damit umgehen wird. Als Menschen stehen wir seit dem Sündenfall in diesem Beziehungsgeflecht von Sünde, Schuld und Vergebung. Und es bleibt die Frage, wie wir unsere Schuld begleichen können und wie das überhaupt möglich ist.

Wenn wir das erkannt und verstanden haben, daß es uns vielfach unmöglich ist, unsere Schuld zu begleichen, weder vor den Menschen noch vor Gott, dann wird uns sicherlich deutlich, daß wir auf Vergebung angewiesen sind. Vergebungsbereitschaft in uns wächst dann, wenn wir uns immer wieder daran erinnern, was Gott für uns getan hat. Wem viel vergeben ist, der liebt viel, dem ist es auch möglich, anderen zu vergeben.4

Schluß

Jesus schließt sein Gleichnis mit der Mahnung, unsere Vergebungsbereitschaft zu überprüfen und sich nicht am Beispiel jenes Knechtes zu orientieren. Trotz dieses etwas bedrohlichen Abschlusses verstehe ich dieses Gleichnis als Einladung an uns. Eine Einladung, Gottes Vergebung für uns persönlich zu erkennen und auch anzunehmen und in der Folge davon, diese Vergebung an andere Menschen weiterzugeben.

Ich lade sie dazu heute morgen ein und das Vater unser einmal ganz bewußt vor diesem Hintergrund zu beten.

Amen.

- Es gilt das gesprochene Wort! -

Diese Predigt wurde verfasst von:
Karl-Heinz Rudishauser
Belchenring 20
D-79219 Staufen
07633/500781
eMail: karl-heinz.rudishauser@t-online.de
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